Gut Ding will Weile (und auch die ein oder andere Herausforderung) haben

Kim Kaborda

Kim Kaborda

Im Sommer 2022 überzeugte unser Konzept einer Kombination von Wohnraum, Arbeitsflächen und Freizeitangeboten zur Nachnutzung der ehemaligen Havelland-Grundschule und die Stadtverordneten Zehdenicks beschlossen die Aushandlung und Unterschrift eines entsprechenden Erbaurechtvertrags. Seit Anfang November 2023 halten wir gemeinsam mit der Mieter*innengenossenschaft SelbstBau den auf 99 Jahre ausgelegten Vertrag in den Händen. Doch noch im Juli diesen Jahres stand unser Vorhaben plötzlich vor dem Aus.

In zahlreichen Abstimmungsrunden zwischen Stadtverwaltung, der Genossenschaft und uns wurden nach dem Beschluss der Stadtverordneten die Vertragsdetails geklärt, sodass im Juni 2023 die finale Entwurfsfassung des Erbbaurechtsvertrags vorlag. Wir blickten auf eine sehr konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zurück. Als Initiativgruppe verlegten wir unsere Lebensmittelpunkte bereits in die Havelstadt, organisierten erste öffentliche Veranstaltungen, warben Fördermittel ein und stellten den ersten Bauantrag.

Anfang Juli erreichte uns dann – quasi über Nacht – die Nachricht, dass der Landkreis für die Unterbringung von Geflüchteten als Alternative zu einer Turnhalle eines aktiven Schulstandortes in Zehdenick die ehemalige Havelland-Grundschule nutzen werde. Der Schock war groß, das Verständnis für Menschen in Not aber natürlich auch. Uns erschien es allerdings unrealistisch, dass bei dem unübersehbaren Leerstand in der Region ausgerechnet das Gebäude, für das bereits ein konkretes Nutzungskonzept besteht, die einzige verträgliche Lösung sein sollte. Uns ärgerte vor allem, dass wir nicht in den Dialog darüber einbezogen wurden. Dieser Umgang entsprach nicht unseren bisherigen positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Stadt und erschien uns, in Anbetracht der bis dahin erfolgten Arbeit auf beiden Seiten sowie dem Zuspruch, den wir seit unserem Start in Zehdenick erfahren haben, nicht gerechtfertigt. Mit einer Schilderung unserer Situation wendeten wir uns umgehend an unser Unterstützer*innennetzwerk. Außerdem setzen wir einen Brief an die Stadtverordneten sowie die Verantwortlichen im Landkreis auf, mit der Forderung nach einem Dialog sowie dem Angebot dauerhaft dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu schaffen. Auch eine kurzfristige Nutzung des Schulgebäudes nach dem Abschluss des Erbpachtvertrages stellten wir dem Landkreis als Option vor. Dass die AfD unseren an alle Stadtverordneten gerichteten Brief falsch interpretierte und außerdem ungefragt an die Presse weitergab, ist in diesem Zusammenhang vielleicht keine Überraschung, aber dadurch umso ärgerlicher für uns. Im Eifer des Gefechts haben wir hier unvorsichtig gehandelt, aber für die Zukunft daraus gelernt, dass wir in solchen Angelegenheiten auf eine eindeutige Wortwahl achten.

Viele Telefonate, unzählige E-Mails und knapp eine Woche später konnten wir das erste Mal aufatmen. Bereits die ersten Rückmeldungen der Stadtverordneten machten deutlich, dass auch die Politik an einer Kompromisslösung interessiert wäre und es tatsächlich mehr Dialogbereitschaft gab als uns zunächst vermittelt wurde. Vor allem dem Engagement des Stadt- und Kreistagsabgeordneten Reiner Merker hatten wir die Aushandlung eines konkreten Kompromissvorschlags zu verdanken, für den in kurzer Zeit eine Mehrheit gebildet werden konnte und dem auch der zuständige Dezernent beim Landkreis seine Zustimmung signalisierte. Die Lösung sollte nach Abschluss des Erbbaurechtvertrags eine temporäre Weitervermietung an den Landkreis zur Unterbringung Geflüchteter für die Dauer von 1,5 Jahren sein. In dieser Zeit sollten weitere Unterbringungsmöglichkeiten erschlossen werden. Nur eine Woche später machte ebenjener Dezernent bei einem gemeinsamen Termin mit dem Bürgermeister, dem Stadtverordnetenvorsitz, der SelbstBau und uns allerdings deutlich, dass dies für ihn nicht in Frage kommen würde. Damit waren wir zwei Wochen nachdem unser Projekt das erste Mal ins Aus katapultiert wurde wieder am selben Punkt angelangt – nur mit deutlich geschwächten Energiereserven.

Abermals verfassten wir einen Brief an die Stadtverordneten, um über das Treffen mit dem Landkreis zu berichten. Einige Tage später berieten diese über die aktuelle Situation und sprachen sich zu unserer Freude für uns aus. Sie stellten klar, dass die Beschlusslage unverändert bleiben sollte, sodass die Beurkundung des Erbbaurechtsvertrags für uns wieder in erreichbare Nähe rückte.

Im Oktober war es dann endlich soweit und in einer weiteren Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wurde über die nun feststehenden Vertragsdetails beraten. Mit einer großen Mehrheit wurde die Bestellung des Erbbaurechts final beschlossen. Mittlerweile ist der Vertrag zwischen der Stadt Zehdenick und der SelbstBau eG als Dachgenossenschaft notariell beurkundet und wir halten die rechtliche Sicherheit in den Händen, unser Vorhaben für die nächsten 99 Jahre verwirklichen zu können. Die Übergabe der Immobilie ist für den 1. Januar 2024 vorgesehen.

Was die vorangegangene Situation für uns vor allem so schwer gemacht hat, war der Umstand, dass durch unseren Einsatz für unser Projekt der Eindruck entstehen könnte, wir wären gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Dabei steht für uns außer Frage, dass eine menschenwürdige Unterbringung von Schutzsuchenden unser aller Verantwortung ist! Deshalb werden wir im Rahmen der Umnutzung des ehemaligen Schulgebäudes zu Wohnraum den Kontakt zum Landkreis suchen, um langfristig einen Beitrag zu einer dezentralen Unterbringung von Geflüchteten zu leisten.

Wir haben in den betreffenden Monaten viel Unterstützung erhalten, ohne die dieses Happy End gar nicht möglich gewesen wäre. Unser Dank gilt ganz besonders:

  • den Zehdenicker Stadtverordneten, die unermüdlich unsere Briefe lasen, Verständnis zeigten und sich mehrfach die Zeit nahmen, unsere Situation zu beraten,
  • Pit Weber von der Mieter-Genossenschaft SelbstBau eG, der immer an uns geglaubt hat,
  • Andreas und Katrin Domke, die uns halfen, den ersten Schock zu verkraften und während der ganzen Zeit an einer konstruktiven Lösung mitwirkten,
  • der Landtagsabgeordneten Carla Kniestedt, die sofort nach Zehdenick kam, um unsere Situation zu verstehen und Verantwortliche kontaktierte,
  • Yvonne Lehmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die ebenfalls den ausgebliebenen Dialog mit uns ankreidete und in die Wege leitete,
  • Juliane Lang und Susann Reissig vom Kreisjugendring Oberhavel e.V., die Gespräche mit dem Landkreis und Demokratieengagierten suchten,
  • dem Netzwerk Zukunftsorte, das überregional um politische Unterstützung warb und bis zuletzt die Bedeutung eines Zukunftsorts in Zehdenick hervorhob,
  • Dr. Andreas Zimmer von der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH, der auf Kommunal- und Landesebene vermittelnd tätig wurde sowie
  • Tobias Kremkau von CoWorkLand und Wir sind der Osten, der uns wie immer, aber gerade im Bezug auf ein diplomatisches Vorgehen in dieser besonderen Situation ein wertvoller Berater war.

Und ein riesiger Dank geht auch an all diejenigen, die uns in dieser Zeit ihr offenes Ohr geliehen haben, uns aufgemuntert haben oder auf ihre Weise für uns da waren 🫶

Letztendlich hat uns diese Situation vieles gelehrt, auf das wir sicher bei zukünftigen Herausforderungen zurückgreifen können. Nichtsdestotrotz: Wir freuen uns auf das, was kommt!